Protagonist des Romans Disgrace ist David Lurie. Dieser 52jährige, zweimal geschiedene Literatur- professor arbeitet jetzt als Professor für Kommunikation an dem früheren „Cape Town University College“, das am Ende der Apartheid in „Cape Technical University“ umbenannt wurde. Seine wöchentlichen Treffen mit der Prostituierten Soraya in einem Stundenhotel werden abrupt von ihr beendet, als er mehr von ihr will und in ihre Ehe eindringt. Eines Abends begegnet er zufällig Melanie Isaacs, einer attraktiven Studentin aus seinem Kurs über Dichter der englischen Romantik. Nach anfänglicher Konversation kommt es zu Intimitäten. Obwohl ihm bewusst ist, dass er einen Fehler macht, beginnt er mit ihr eine Affäre. Als das Verhältnis bekannt wird, sind Melanies Eltern empört und ihr aggressiver Freund trägt dazu bei, dass ein Psychoterror gegen den Professor einsetzt. Schließlich kommt es zu einer Untersuchung wegen sexueller Nötigung vor einer universitätsinternen Kommission. Nach der unehrenhaften Entlassung aus dem Universitätsdienst verlässt er Kapstadt und kommt auf der kleinen Farm seiner Tochter Lucy im östlichen Südafrika unter. Die Farm wird von drei schwarzafrikanischen Marodeuren überfallen. Hier nun erfährt Lurie seine Ohnmacht als Vater und erkennt seine neue Rolle als Weißer in einem Südafrika nach der Apartheid, in dem statt Eintracht und Solidarität nunmehr neue Probleme auftauchen. Obwohl Lucy von nun an in ständiger Angst lebt und die Rückkehr der Marodeure befürchtet, weigert sie sich, Luries Vorschlag anzunehmen, in die Niederlande oder nach Kapstadt zu ziehen.
Der Plot des Romans wird aus der Perspektive des „allwissenden Erzählers“, der stets anonym im Hintergrund bleibt, in chronologischer Reihenfolge im Präsens geschildert. Die präsentische Erzählform erweckt beim Leser den Eindruck der Direktheit und die Empfindung, dass alles im „Jetzt“ geschehe. Es fehlen jegliche Rückblenden, Visionen und Fantasievorstellungen. Die Sprache ist prägnant, knapp und klar und trägt nicht unwesentlich dazu bei, die neue Zeit und David Luries inneres Leben widerzuspiegeln.
J.M. Coetzee, Disgrace
Wenn auch die Schilderung der damaligen Zeit im Roman stark in den Vordergrund zu treten scheint, so ist Disgrace doch weitaus mehr als ein bloßes Zeitgemälde. Im Wesentlichen handelt es sich um die Analyse der geistigen und emotionalen Welt eines Einzelnen, der fast alles verliert und ein traumatisches Erlebnis zu verarbeiten hat. (gekürzter Auszug aus dem Nachwort)
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